Sein Pferd bereits vor dem Reiten am Putzplatz auf seinen Job vorzubereiten und danach im Sattel biomechanisch korrekt zu reiten, macht aus den folgenden drei wichtigsten Gründen Sinn:
- Das Nervensystem, die Muskulatur, sprich der gesamte Körper wird auf die kommende Bewegung vorbereitet. Das Putzen „wärmt“ den Pferdekörper sozusagen auf.
- Beim genauen Beobachten des Pferdes werden mögliche Verspannungen, Verletzungen oder Unregelmäßigkeiten am Fell oder an den Gliedmaßen erkannt.
- Kann das Pferd bereits am Putzplatz entspannen, ist dies ein guter Start für das gemeinsame Reiten im Anschluss.
7 Fragen an die Biomechanik-Expertin, Psychotherapeutin und Tellington-Instruktorin Lily Merklin
Liebe Lily, magst du dich kurz vorstellen? Wer bist du, was machst du?
Ich bin Psychotherapeutin, Körpertherapeutin und Tellington-Instruktorin für Pferde. Das klingt vielleicht nach einer etwas abenteuerlichen Mischung, aber ich habe einfach immer das gemacht, was mich am meisten interessiert hat. Dabei ist sicher von Vorteil, dass ich es liebe zu lernen.
Dein Spezial-/Lieblingsgebiet ist die Biomechanik der Pferde. Was fasziniert dich daran so?
Der Körper ist für mich ein absolutes Wunderwerk. Vielleicht kennst du den Designleitsatz „Die Form folgt der Funktion“. Dieses Prinzip ist der Natur entlehnt, und unser Körper (und mit uns meine ich Menschen und Tiere gleichermaßen) beweist dies mit allen Strukturen. Wie Muskeln, Sehnen und Knochen zusammenarbeiten, damit Bewegung entstehen kann, ist einfach unglaublich. Ganz zu schweigen davon, dass wir irgendwie aus einem Ei und einer Samenzelle entstanden sind. Außerdem liebe ich es, mich zu bewegen, und bin fasziniert von der Schönheit, mit der viele Tiere und manche Menschen sich bewegen.
Warum ist es so wichtig, sich als Reiter mit der Biomechanik von Pferden näher auseinanderzusetzen?
Pferde sind ja aus anatomischer Sicht absolut nicht zum Reiten gemacht. Aber sie können uns trotzdem tragen, wenn wir anatomische und biomechanische Grundlagen beachten. Deswegen halte ich es für essenziell, dass alle Reiter sich damit beschäftigen.
Der Begriff „Biomechanik“ schreckt viele Pferdeleute ab. Wie schaffst du es in deinen Kursen, diese trockene Theorie spannend in die Praxis zu übertragen?
Unterrichten bedeutet für mich nicht, einen leeren Eimer zu füllen, sondern eine Flamme zu entfachen. Ich will Biomechanik spür- und erlebbar machen. Mir ist es nicht wichtig, dass die Teilnehmer danach die Namen von Muskeln oder Knochen können, sondern sie sollen ein paar grundlegende Prinzipien verstanden und ein Gespür für Anatomie und Biomechanik entwickelt haben. Wenn es mir gelingt, sie mit meiner Begeisterung anzustecken und neugierig zu machen, kommt der Rest von selbst.
Welche biomechanischen Prinzipien sind aus deiner Sicht für gesundes Reiten am wichtigsten?
Das wichtigste Prinzip ist vermutlich, dass alles mit allem verbunden ist. Und das gilt bekanntlich nicht nur für die Biomechanik. Beim Reiten kommt noch hinzu, dass Pferd und Mensch sich gegenseitig beeinflussen. Besonders offensichtlich wird das im Bezug aufs Gleichgewicht, wie jeder Reiter weiß. Womit wir schon beim zweiten Prinzip wären: Balance ist die Grundlage von Bewegung. Ein besonderer Verdienst von Linda Tellington-Jones [der Begründerin der Tellington-TTouch-Methode] ist sicher, dass sie der Pferdewelt den Zusammenhang zwischen körperlichem, geistigem und emotionalem Gleichgewicht nähergebracht hat. Wenn wir einem Pferd helfen, körperlich besser ins Gleichgewicht zu kommen, verbessert sich auch seine emotionale Ausgeglichenheit.
Was können Pferdeleute, egal ob Reiter oder nicht, tun, um ihr Pferd auf Dauer aus biomechanischer Sicht gesund zu erhalten?
Das fängt sicher bei der Haltung an. Pferde sind Bewegungstiere und sollten neben Licht, Luft, gutem Futter und Freunden ausreichend Gelegenheit zur freien Bewegung haben. In der Ausbildung ist es wichtig, zu berücksichtigen, dass Faszien deutlich mehr Zeit zum Reifen brauchen als Muskeln. Wir müssen Pferde also sehr langsam auf ihre Arbeit, egal welcher Art, vorbereiten. Das gilt für ein erstes Anreiten oder Einfahren wie für spätere Neubeginne zum Beispiel nach einer Verletzung oder sonstigen Pause. Des Weiteren müssen wir dem Pferd immer helfen, seinen Körper für die von uns verlangte Arbeit optimal zu nutzen. Beim Reiten sei hier besonders das Zusammenspiel von Unter- und Oberlinie genannt. Und je schlechter wir reiten, desto mehr müssen wir für einen gesunden Ausgleich zum Beispiel in Form von Bodenarbeit sorgen.
Mein Motto lautet „Weil gesundes Reiten am Putzplatz beginnt“: Wie würdest du aus biomechanischer Sicht das Pferd bereits am Putzplatz optimal aufs Reiten vorbereiten?
Am wichtigsten scheint mir vom ersten Kontakt an das genaue Hinschauen und -hören zu sein: Wie geht es meinem Pferd heute? Wie bewegt es sich? Gibt es Auffälligkeiten? Und vielleicht auch: Wie geht es mir heute? Wie bewege ich mich? etc.
Ich empfehle, das Putzen mit einem Erkunden des Körpers (in der Tellington-Methode „Body Exploration“ genannt) zu verbinden, das Pferd also bewusst abzustreichen, um Verspannungen, warme/kalte Stellen, Empfindlichkeiten und sonstige Auffälligkeiten zu erspüren.
Und dann kann ich natürlich noch ein paar TTouches einfließen lassen, um das Pferd individuell vorzubereiten. Hier bieten sich aus biomechanischer Sicht vor allem das Beinkreisen und der Schweif-TTouch an, um das Gleichgewicht zu verbessern und die Wirbelsäule beweglicher zu machen. Individuell kann man dann zusätzlich auf die Bereiche eingehen, die mehr Aufmerksamkeit brauchen. Beim einen Pferd mögen das die Schultern sein, beim anderen der Hals oder die Hinterhand. Als zusätzlicher Bonus haben die TTouches auch noch eine positive Wirkung auf die Beziehung zwischen Tier und Mensch.
Mehr zu Lily Merklin und ihrer Arbeit kannst du hier nachlesen: www.lilymerklin.de
Die Übung Körper erkunden (auch Noahs Marsch oder Body Exploration genannt)
In der Tellington-Methode beginnen wir die Körperarbeit, nachdem wir ein Pferd begrüßt haben, in der Regel mit Noahs Marsch. Dabei handelt es sich um ein achtsames, bewusstes Abstreichen, das eine sehr „zuhörende Qualität“ hat. Meist benutzen wir dafür die flache Hand und können so Unterschiede in der Felltextur, Temperatur, Lebendigkeit des Gewebes, Muskelspannung etc. wahrnehmen.
Vor allem aber achten wir darauf, wie das Pferd auf unsere Berührung reagiert. Verändern sich Atmung oder Körperhaltung? Entspannt sich das Pferd? Gibt es Stellen, wo es mit Abwehr reagiert? Dabei geht es wirklich schon um kleinste Anzeichen – eine Änderung der Ohrenstellung, des Blicks, der Kopfhaltung, einen tieferen oder flacheren Atemzug.
Differenziert wahrnehmen und zuordnen können wir diese Subtilitäten nur, wenn wir langsam und achtsam über den Körper streichen. Wir achten dabei auf lange Linien, also zum Beispiel vom Genick über den Hals und die Schulter die Vorderbeine hinunter. Oder weiter von der Schulter über den Widerrist und Rücken bis zur Hinterhand. In der Regel streichen wir mit der Fellrichtung und nicht dagegen. Der Druck ist dabei eher leicht, aber deutlich.
Versuche verschiedene Druckstärken und achte auf die Rückmeldung des Pferdes. Wenn du diese Übung zum täglichen Ritual machst, wirst du nicht nur dein Pferd besser kennenlernen, sondern kannst auch schnell reagieren, wenn sich etwas anders anfühlt als sonst.