„Was tue ich, wenn nicht nur mein Pferd in bestimmten Situationen unsicher und ängstlich reagiert, sondern auch ich? Und wie kann ich damit umgehen?“ Das Thema Angst beim Reiten und insbesondere Angst beim Reiten nach einem Sturz kommt mir immer wieder unter. Angst ist vor allem eines: ein sehr komplexes und persönliches, emotionales Thema.
Die obige Frage hat mir Ivonne gestellt. Ivonne nahm an der ersten kostenlosen Relaxed Horse Challenge teil und buchte im Anschluss meinen Online-Kurs für ein entspanntes, relaxtes Pferd Relax and Ride. Mittlerweile geht Ivonne entspannt mit ihrem coolen Timmy ausreiten, sie hat gelernt, mir ihrer Angst umzugehen und souverän zu werden.
Für jeden, der Angst beim Reiten (insbesondere nach einem Sturz) empfindet, ist es nicht einfach, über diese Angst und Unsicherheit zu sprechen und sich zu offenbaren.
Aber sei dir sicher: Angst betrifft jeden. Auch ich bin nicht davor gefeit!
Als studierte Diplompsychologin habe ich mich während meines Studiums und auch später in meiner Arbeit als Reittherapeutin viel mit Angst, Merkmalen von Angst und mit Angstbewältigung beschäftigt.
Vorab möchte ich dir etwas ganz Wichtiges sagen: Angst – sowohl beim Menschen als auch beim Pferd – ist zuallererst eine gesunde Reaktion!
Angst schützt uns vor Verletzungen (psychisch und physisch) und vor anderen bedrohlichen Situationen und Gefahren. Angst ist ein biologisches Warnsystem, das bei Gefahr aktiviert wird. Eine solche Bedrohung oder Gefahr kann eine gefährliche Situation sein, kann aber auch fehlende Unterstützung oder etwas Unbekanntes sein. Normale Angst bereitet uns darauf vor, uns zu schützen. So verhindert die Angst zuallererst einmal Schmerz. Und das ist auch gut so!
Angst ist also auf keinen Fall eine verwerfliche oder lächerliche Emotion!
Angst ist eine komplexe Erfahrung, die sich auf verschiedenen Ebenen ausdrückt: auf der Ebene des Körpers, auf der Ebene unserer Gedanken und auf der Ebene unseres Verhaltens.
Wie zeigt sich Angst auf der körperlichen Ebene?
Angst zeigt sich auf der körperlichen Ebene in einer Kampf-Flucht-Reaktion (kennen wir vom Pferd). Diese Kampf-Flucht-Reaktion bereitet unseren Organismus auf eine Handlung vor. Unser körperliches System, unser Organismus wird aktiviert und handlungsbereit gemacht:
Das zeigt sich in folgenden Symptomen:
- Erhöhte Herzfrequenz
- Beschleunigte Atmung und damit mehr Sauerstoff im Gehirn (das spürt man vielleicht als Atemnot, Schmerzen in der Brust usw.)
- Verstärktes Schwitzen
- Geweitete Pupillen
- Verdauungssystem wird heruntergefahren: Übelkeit, Magenkrämpfe
- Muskeln spannen sich an: Zittern oder gar Schmerzen
Wie zeigt sich Angst auf der Ebene der Gedanken, der kognitiven Ebene?
Angst und Unsicherheit spielt sich besonders intensiv und ausdauernd in unserem Kopf ab. Jeder kennt das Horrorszenario, das unser Kopf automatisch abspielt: Kopfkino vom Feinsten.
- Unsicherheit, wie man in der aktuellen Situation reagieren soll, aber auch wie man in Zukunft reagieren soll
- Sorgen/Besorgnis
- Erwartung einer Katastrophe (Kopfkino spielt ein Horrorszenario ab)
Angst beim Reiten führt auf der Ebene des Verhaltens zu:
- Zum Wunsch, der Situation zu entfliehen. Das kann sich in den unterschiedlichsten Reaktionen zeigen und ist individuell verschieden. Die Spannbreite reicht von sich hinzusetzen bis zu einer waschechten Panikattacke.
- Aggression (jemand, der helfen will, wird aggressiv abgewiesen; wir reagieren viel zu heftig und übertrieben auf das Pferd usw.)
- Vermeidungsverhalten
Wie reagierst du am besten auf Gefühle von Angst und Unsicherheit beim Reiten nach einem Sturz?
Vorab: Das Thema Angst ist sehr komplex. Bei langanhalten, heftigen und dich stark einschränkenden Angstreaktionen oder gar Panikattacken solltest du dich an deinen Hausarzt oder am besten an einen Psychologen/Psychiater wenden.
Anders als das Pferd können wir unsere Angst mit menschlicher Vernunft erklären und in vielen Fällen so auch abbauen. Beachte: Dein Pferd kann das nicht!!!
Wie reagierst du nun, wenn Gefühle von Angst aufkommen?
Es ist sehr wichtig, dass du dir zuallererst eingestehst, dass du Angst hast. Dass du sie nicht vor deinen Freunden (z. B. beim Ausritt etc.) versteckst, sondern dass du sie annimmst, wie sie ist.
Dann solltest du über die Ursachen deiner Angst nachdenken. So kannst du Schritt für Schritt lernen, mit deiner Angst umzugehen. Auch wenn es sein kann, dass du sie nie ganz los wirst. Aber wie gesagt, Angst ist in einem gewissen Ausmaß auch sehr hilfreich und sinnvoll!
Was sind meine Tipps bei Angst/Unsicherheit im Umgang mit dem Pferd oder bei Angst beim Reiten nach einem Sturz?
- Lass dich nie auf irgendwelche Mutproben ein. Wenn dir jemand einreden will, dass diese Situation eh „nur halb so wild“ ist, dann lass dich um Gotteswillen nicht breitschlagen und geh über deine Komfortzone hinaus. Aus der eigenen Komfortzone herausgehen ist gut für die persönliche Weiterentwicklung, aber nicht in einer unsicheren, angstbehafteten Situation. Mit seiner Angst umzugehen lernt man nur in einem sicheren Rahmen und kann dann Schritt für Schritt sein Selbstbewusstsein und seine Selbstsicherheit aufbauen und sich so langsam der angsteinflößenden Situation nähern.
- Hör auf deinen Bauch! Wenn du ein komisches Gefühl im Bauch hast, dann hör auch bitte darauf. Nichts ist schlimmer als im Nachhinein sagen zu müssen: „Ich habs gewusst! Hätte ich doch nur …!“ Deshalb: Trau dich, ehrlich zu dir und deinen Gefühlen zu stehen! Wie oft ist es schon passiert, dass man aus einer Situation herausgegangen ist und man dann später von anderen gehört hat: „Gottseidank bist du nicht mitgegangen, es war ein total furchtbarer Ausritt, es ist so viel passiert. Dein Pferd hätte durchgedreht …“ usw. und so fort. Und du weißt dann: Es war gut, dass ich auf mein Bauchgefühl gehört habe!
- Trau dich, über deine Angst zu sprechen: Sag bei einem Ausritt zum Beispiel ganz klar, dass du dich hier gerade unwohl fühlst und dass du absteigen/umdrehen/anhalten usw. willst! Das zeugt von ehrlicher Selbsteinschätzung und Selbstbewusstsein und hilft dir mehr, als wenn du über dein Gefühl von Unsicherheit oder gar Angst hinwegsiehst und es ignorierst!
Ich hoffe, ich konnte dir mit diesen Ausführungen Mut zusprechen, zu deinem Gefühl der Angst zu stehen.
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